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Jungfraumarathon 14.9.

Andi berichtet:
Viele lange Trainingsläufe hatte Andrea in den letzten 6 Wochen absolviert, aber waren es auch genug, waren sie lang genug? 50 Minuten länger als ein „normaler“ Marathon dauert dieser bekannteste, größte, schönste Bergmarathon der Superlative im Berner Oberland. Auf den klassischen 42,195 Kilometern von Interlaken auf die Kleine Scheidegg am Fuß der Eigernordwand sind 1.829 Höhenmeter aufwärts und 305 Höhenmeter abwärts zu überwinden. Am Samstag, kurz nach Mittag würden wir es wissen, ob Andreas Kilometer- und Höhenmetersammlung der letzten Wochen groß genug war.

So fuhren wir schon Mittwoch Nachmittag los und machten etwa auf halber Strecke in einem hübschen Allgäuer Ort nahe dem Bodensee Zwischenstation. Ein lockerer halbstündiger Dauerlauf vor dem Abendessen und dann ab ins Bett. Am nächsten Tag kamen wir am frühen Nachmittag in Interlaken an, wo wir das vom Veranstalter bereitgestellte Quartier im Athletenhotel bezogen. Kurz danach fuhren wir mit dem Auto nach Lauterbrunnen, um uns den ersten steilen Streckenabschnitt anzusehen. Recht unterschiedliche Beschreibungen hatten wir davon bereits von verschiedenen Leuten gehört und auch das Streckenprofil der Ausschreibung war nicht ganz eindeutig. Die Besichtigung war eine gute Idee, denn so stellten wir (rechtzeitig) fest, dass hier bei km 25,5 ein extrem steiler Anstieg beginnt. Auf knapp 2 km sind 400 Höhenmeter zu überwinden, danach wird die Strecke flacher und steigt nach einem kurzen Bergabstück wieder allmählich an, bis man bei km 30 Wengen erreicht, den Austragungsort der berühmten Lauberhornrennen. Nach Wengen verläuft der Kurs ansteigend bis km 32,5. Hier ist die nächste Station der Zahnradbahn, die meist entlang der Strecke bis zum Ziel auf der Kleinen Scheidegg führt. Dort beendeten wir die erste Streckenbesichtigung. Andrea war ganz locker hinaufgelaufen, etwa 10 Minuten schneller als ich, aber ich hatte mich sehr zurückgehalten, denn schließlich musste ich mich für meinen Einsatz am Samstag schonen.

Mit der Bahn ging es dann wieder hinunter, eine beeindruckende Fahrt mit tollen Ausblicken. Auch die Bahn bewältigt hier ganz extreme Steigungen.

Am Freitag fuhren wir gleich nach dem Frühstück mit der Bahn von Interlaken nach Lauterbrunnen und dann bis zur Station Allmend, wo wir am Vortag mit der Streckenbesichtigung aufgehört hatten. Andrea stieg aus und setzte sich ganz locker in Bewegung. Von hier verläuft die Strecke erst flacher, manchmal sogar leicht bergab, dann wieder sanft bergauf. Bis km 37,9 werden nicht sehr viele Höhenmeter gemacht. Ich fuhr noch eine Station weiter und machte mich etwa bei km 37 auf den Weg. Schön langsam, gehend und zwischendurch ein wenig joggend und fotografierend folgte ich der markierten Strecke, die ab km 37,9 wieder jäh ansteigt.

Hier beginnt ein sehr steiler und auch technisch anspruchsvoller Pfad mit Steinen und Wurzeln, zunächst im Wald, dann auf einem schmalen Wanderweg schon oberhalb der Baumgrenze, wieder mit fast 400 Höhenmetern auf nur 2 Kilometern! Hier holte mich Andrea auch schon ein und gemeinsam erreichten wir die berühmte Gletschermoräne. Auf einem schmalen Weg am Rand der Moräne geht es ca. 300 Meter weit, nicht mehr ganz so steil hinauf zum höchsten Punkt auf 2.200 Meter und dann schon auf die letzten 1,2 km, die leicht bergab zum Ziel führen.

Jetzt also kannte Andrea den gesamten 2. Streckenteil, und wir konnten mit der Bahn wieder talwärts und per Autostopp von Lauterbrunnen zurück nach Interlaken fahren. Zum Glück hat uns jemand mitgenommen, sonst wäre es mit der nachmittäglichen Pressekonferenz (einem Pflichttermin für Andrea) knapp geworden. Die war dann um halb vier vorbei und Andrea gönnte sich danach noch ein Schläfchen im Hotel. Ich blieb zum technical meeting, um das eine oder andere wichtige Detail zum Ablauf des Rennens zu erfahren bzw zu erfragen.

Nach dem Abendessen tüftelten wir mit Hilfe alter Ergebnislisten und nachdem wir mit ein paar Läufern gesprochen hatten, die schon einmal mitgelaufen waren, noch ein wenig an der Renntaktik und den geplanten Durchgangszeiten. Klar war, dass wir nur ja nicht zu schnell beginnen sollten auf der ersten flachen Hälfte. Dafür sollte ich mit gleichmäßigen Kilometerzeiten sorgen.

Punkt 9 Uhr Früh wurden am nächsten Tag mit einem mächtigen Böllerschuss mehr als 4.000 Läufer auf die Reise geschickt. Der erste Kilometer war mit 3:29 viel zu schnell, trotzdem waren bereits 3 Läuferinnen vor uns. Die Französin Aline Camboulives legte ein unglaubliches Anfangstempo vor und war nach 3 Kilometern schon 150 Meter vorne. Sabine Reiner aus Vorarlberg und die Schweizerin Martina Strähl machten in unserer Gruppe ordentlich Druck und so liefen wir anfangs schneller als geplant. Andrea wollte hier den Anschluss nicht verlieren. Nach einigen Kilometern pendelte sich das Tempo einigermaßen ein, aber Sabine und Martina pushten sich gegenseitig so, dass ich gar nicht dazu kam, Führungsarbeit zu machen. Meist liefen sie vorne. Andrea blieb am Ende der Gruppe. Die ersten fast völlig flachen 10 km legten wir in 37:24 min zurück. Dann begann die Strecke anzusteigen, es kam gleich einmal ein Bergaufstück von 30 bis 40 Höhenmetern auf einmal, dann folgten Passagen mit unterschiedlichen Steigungen und ein paar leichte Bergabstücke. Der Asphalt wechselte teilweise mit Schotterwegen. Dadurch wurde das Tempo natürlich langsamer. Schwierig wurde die Einteilung dadurch, dass einige Kilometertafeln nicht richtig aufgestellt waren, sodass die Uhr (unrichtige) Kilometerzeiten von 3:12 bis 4:32 zeigte. Ich versuchte trotzdem, mit gleichmäßiger Anstrengung weiterzulaufen. Bei km 15 war unsere Gruppe immer noch beisammen, inzwischen lief aber doch ich vorne. Die Französin hatte mittlerweile schon 1:20 min Vorsprung!

Ich beobachtete jedoch, dass der Abstand zu den Läufern vor uns nicht größer wurde und wir sogar den einen oder anderen ein- und überholten. Das Tempo schien also insgesamt in Ordnung zu sein. Irgendwann nach 16 oder 17 km waren Sabine Reiner und Martina Strähl nicht mehr hinter uns, was wir aber zuerst gar nicht bemerkten. Sie waren nun ein wenig zurückgefallen. Bei km 19 begann der Weg ziemlich stark in die Ortschaft anzusteigen - so stark, dass Andrea mich plötzlich überholte. Nur mit großer Mühe schaffte ich es, hinter ihr mitzugehen und konnte erst, als es im Ortszentrum von Lauterbrunnen wieder flacher wurde, neben ihr laufen und mich kurz danach wieder vor sie setzen. Ich war schon ziemlich am Ende meiner Kräfte. Die Halbmarathonmarke - 220 Höhenmeter hatten wir seit km 10 absolviert - passierten wir in 1:22:32, eine Minute schneller eigentlich, als geplant. Nun wurde es wieder flacher, es folgte nach Lauterbrunnen eine 5 km lange Schleife, die letztlich wieder in den Ort zurückführte. Bei km 22 neue Motivation: Wir erblickten erstmals das Führungsfahrzeug mit der schnellsten Dame vor uns - die Französin war in Sichtweite! Ca. 55 Sekunden Rückstand stoppte ich für Andrea heraus. Es folgten recht flotte Kilometer Nr. 23 und 24 (soferne die Tafeln stimmten...), die eben und sogar wieder ein wenig bergab gingen. Danach nahm ich das Tempo ganz leicht heraus, denn nach km 25 wartete der erste steile Anstieg. Noch einmal stoppte ich den Rückstand: nur mehr 44 Sekunden! Bei km 25,5 war mein Rennen beendet, schon auf den ersten steilen Metern zog Andrea davon und ich feuerte sie noch einmal aus Leibeskräften an. Bald war sie hinter der ersten Serpentine verschwunden: Nun konnte sie ihre große Stärke ausspielen. Noch vor km 26 hatte sie die Führende eingeholt und war an ihr vorbeigestürmt. Bis km 30,2 in Wengen hatte sich der Rückstand in einen Vorsprung von 46 Sekunden verwandelt!

Als ich mich von Andrea verabschiedete, waren seit dem Start um 9 Uhr 1:40 Stunden vergangen und ich wusste, dass in Wengen um 11:21 Uhr der letzte Zug geht, der mich eindeutig vor Andrea zum Ziel bringen würde. So begann nun mein zweites Rennen im Rennen, um diesen Zug zu erreichen. Mit deutlich reduziertem Tempo nahm ich jetzt die Steigung in Angriff, auf der alle 250 Meter markiert waren. Bald hatten mich Sabine und Martina eingeholt, die 35 Sekunden nach Andrea in den Anstieg gegangen waren. Allmählich liefen auch die nächsten Frauen und natürlich zahlreiche Männer an mir vorbei, aber ich biss die Zähne zusammen und erreichte Wengen tatsächlich nach 2:16 Stunden, 5 Minuten vor der Abfahrt meines Zuges. 9 Minuten vor mir war Andrea an dieser Stelle durchgerauscht.

Auf den folgenden Kilometern baute sie ihren Vorsprung kontinuierlich aus und lag bei der nächsten Zwischenzeit (km 37,9) schon 2:51 min vorne. Nun aber wurde es auch für sie ganz hart. 2:50 Stunden waren jetzt vergangen, nie war Andrea im Training so lange gelaufen, und es lagen noch ganz steile und schwere Kilometer vor ihr. Auf dem Steilstück musste sie erstmals gehen, etwas, das sie sonst nie bei einem Berglauf macht, egal wie steil die Strecke ist. “Ich hatte das Gefühl, ich stehe, wollte fast sogar aufgeben”, sagte sie nachher, der mögliche Streckenrekord war ihr plötzlich unwichtig, sie wollte nur noch irgendwie ins Ziel, egal wie. Später musste sie zugeben, dass sie auf dem Abschnitt sogar langsamer war als bei der ganz lockeren Besichtigung dieses Streckenteils am Vortag. Dazu kam noch, dass Andrea bei einer Verpflegungsstelle in Erwartung eines Iso-Getränks versehentlich zu einem Becher Bouillon gegriffen hatte und der unerwartete Geschmack ihrem Magen zu einer unfreiwilligen Zusatzumdrehung verhalf.

Die Moräne absolvierte sie teils gehend, teils laufend. Sie wusste nun aber, dass es geschafft wäre, wenn sie den höchsten Punkt dort erreicht hatte. Auf dem Bergabstück würde sie von keiner Gegnerin mehr eingeholt werden. Inzwischen war auch ich auf der Kleinen Scheidegg angekommen und eilte ihr auf besagtem Bergabstück (das in der Gegenrichtung bedauerlicherweise bergauf führt) entgegen. Meine Stoppuhr lief noch immer und ich rechnete mir aus, dass sie in den nächsten 2 Minuten auf dem höchsten Punkt auftauchen müsste, wenn es sich auch mit dem Streckenrekord ausgehen sollte. Genau, als ich bei km 41 oben ankam, bog Andrea um die Ecke. Ich feuerte sie an, rief ihr nach, dass noch knapp 5 Minuten Zeit bleiben und stolperte hinter ihr wieder Richtung Ziel. Auch die zahlreichen Zuschauer trieben sie an, es ging an einem kleinen See vorbei, noch einmal 2 oder 3 Höhenmeter bergauf und 2 Mal um die Ecke. Sehen konnte ich Andrea nicht mehr, aber als meine Uhr 3:20:20 Stunden zeigte, hörte ich einen lauten Böllerschuss vom Zielraum, der anzeigte, dass sie angekommen war!

Sieg und Streckenrekord, die alte Bestmarke aus dem Jahr 2001 um 43 Sekunden verbessert!

2 Minuten später war ich da, und wir konnten jubeln, Andrea wurde von Reportern und Fans bestürmt und gefeiert. Dann aber musste sie sich hinsetzen, sie hatte sich völlig verausgabt, ich habe sie noch nie so fertig im Ziel gesehen, nicht einmal nach ihren bisherigen (flachen) Marathons. Da sie auch etwas Magenprobleme hatte, konnte sie auf der Strecke nicht so viel zu sich nehmen, wie sie eigentlich sollte und jetzt waren die Energiespeicher völlig leer. Nach ein paar Minuten hatte sie sich aber wieder erholt und konnte ihren Erfolg auskosten und genießen. Mit letztlich 4:48 min Rückstand rettete sich die lange führende Französin Aline Camboulives knapp vor Martina Strähl und Sabine Reiner als Zweite ins Ziel.

Andrea war übrigens Gesamt.-18. geworden, bei km 10 lag sie noch an 41. Stelle, bei km 15 war sie 33., ebenso bei der Halbmarathonmarke, in Wengen schon 26., dann bei km 37,9 bereits 19. Auf dem letzten schweren Abschnitt war sie trotz des schlechten Gefühls nur 3 bzw 5 Sekunden langsamer gewesen als die beiden dort schnellsten Frauen!

Nach der Dusche folgte auch schon die flower-ceremony mit Kuhli, dem Maskottchen der kommenden Leichtathletik-EM in Zürich, danach eine Sieger-Pressekonferenz im Hotel direkt vor dem beeindruckenden Panorama von Eiger, Mönch und Jungfrau.

Und danach, ja danach kam das Highlight des Tages (abgesehen natürlich von Andreas toller Leistung): Wir wurden vom Ziel mit dem Hubschrauber zum Startort Interlaken zurückgeflogen! Ein unbeschreibliches Erlebnis war das, als der Pilot noch 2 Runden über dem Zielgelände drehte, ganz nahe an die Eiger-Nordwand flog und wir von weit oben auf den letzten Streckenteil blickten, wo sich immer noch tausende Läufer auf den schmalen Wegen und über die berühmte Moräne Richtung Ziel bewegten. Danach genossen wir den Ausblick auf das tolle Bergpanorama und zum Schluss auf die beiden Seen zwischen denen (daher der Name) Interlaken liegt. Viel zu kurz war das Flugerlebnis, 20 Mal länger hatte Andrea von hier hinauflaufen müssen auf die Kleine Scheidegg, aber es hat sich jedenfalls ausgezahlt!

Im Hotel angekommen setzte nun der große Hunger ein, der angeschlagene Magen forderte Wiedergutmachung. Andrea schickte mich auf Nahrungssuche und mit ein einigen klassischen McDonalds - Produkten ließ sich ihr Allgemeinbefinden deutlich verbessern. Danach folgten noch ein paar Bratwürste im Festzelt, die Andrea für die dort stattfindende Siegerehrung wieder fit machten. Trotz großer Müdigkeit konnte sie danach kaum schlafen - zum Glück war am nächsten Tag erst Sonntag und kein Nacht- oder sonstiger Dienst im Krankenhaus anzutreten.

Nach einem ausgiebigen Frühstück traten wir die Heimreise an, immerhin 7 1/2 Stunden Autofahrt, aber was ist das schon gegen 3:20 Stunden Jungfraumarathon und 10 Minuten Hubschrauberflug!

Streckenbesichtigung an den Vortagen

Pressekonferenz

Vorabend

Start

Rennen flacher Teil

Rennen bergauf

Moräne

noch 500m zum Ziel

nur noch 200m

Zieleinlauf

im Ziel

flower ceremony

Hubschrauberflug

Siegerehrung im Festzelt