Olympischer Marathon Rio de Janeiro 14.8.

Andi berichtet:

Bereits um 6 Uhr Morgens verließ ich mein Quartier, um auf jeden Fall rechtzeitig vor dem Start beim Sambódromo anzukommen. Da ich nicht mit dem offiziellen Athleten- und Betreuerbus mitfahren durfte, war ich auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen, die in Rio immer für eine Überraschung gut sind. Es war auch kein Fehler, so früh aus dem Haus zu gehen, denn gleich mit dem ersten Bus fuhr ich zum Auftakt eine Station in die verkehrte Richtung. Diesen Fehler besserte ich sofort aus, und alles lief danach so weit nach Plan, bis sich herausstellte, dass die innerstädtische Schnellzuglinie ("supervia") ausgerechnet an Sonntagen den "Expresso" nicht fährt, sondern nur den "Parador", der bei jeder Station stehenbleibt. So musste ich 19 weitere Halte absolvieren statt der geplanten 3. Um 8 Uhr erreichte ich das Sambódromo, eine 700 Meter lange Arena mit Tribünen auf 2 Seiten, die sonst der Schauplatz für die Parade der Sambaschulen beim Karneval von Rio ist. Heute verlief zwischen den Tribünen die Start- und Zielgerade des olympischen Marathons.

Irgendwie schaffte ich es, mich auch ohne Akkreditierung in das Startgelände zu den Athletinnen durchzuschummeln und Andrea im Aufwärmbereich zu treffen. Zum Glück hatte sich Herwig Grünsteidl, der Trainer und Betreuer des Zehnkämpfers Dominik Distelberger, bereiterklärt, Andrea bis zum Start zu begleiten, da sie sonst in der Zeit bis dahin ohne (offiziellen) Betreuer gewesen wäre. Karl Sander, der Trainer von Jenny Wenth, und Sabrina Filzmoser, die Judokämpferin, waren zum Getränkereichen bei den Verpflegungsstellen eingeteilt. Andrea war sehr nervös. Einer der Gründe war, dass die Temperaturen von Minute zu Minute stiegen. War es um 6 Uhr noch angenehm kühl, ja fast frisch gewesen, so strahlte jetzt die Sonne vom wolkenlosen Himmel und eine halbe Stunde vor dem Start hatte es schon 25 Grad. Gemeinsam wärmten wir auf, dann ging es auch schon in den callroom, wo der Wettkampfdress überprüft (hier gibt es strenge Regeln!) und der Transponderchip montiert wurden. 10 Minuten vor dem Start verabschiedete ich mich von Andrea und rannte über einen Abkürzer quer durch die Innenstadt, in der aufgrund der Absperrungen ein noch größeres Verkehrschaos herrschte als sonst, zu Kilometer 6. Es dauerte nicht lang, da kam schon die Führungsgruppe auf mich zu. Ein Riesenfeld von Läuferinnen (insgesamt 157 waren am Start) zog an mir vorbei. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis ich Andrea endlich sah, obwohl sie zügig gestartet war. "Nur" an ca.92. Position lief sie inmitten einer großen Gruppe kurz vor km 6 durch und ich feuerte sie aus Leibeskräften an, versuchte ihr Zwischenzeiten und Schnitt durchzugeben.

Bis km 5 verlief der Kurs zunächst ca 3 km auf einer breiten Straße vom Sambódromo und dann noch weitere 2 km über einen halbwegs schattigen Abschnitt am Rand der Innenstadt Richtung Meer. Es sollte dies der einzige schattige Teil des Rennens bleiben. Danach waren 3 Runden zu je 10 km auf einer riesigen Schnellstraße entlang der Küste zu laufen. Hin- und Rückweg waren jeweils durch einen breiten, teils parkähnlich angelegten Grünstreifen getrennt. Leider standen nur hier Bäume, nicht jedoch an den Straßenrändern. Landschaftlich und v.a. für die Zuschauer am Streckenrand und die Fernsehbilder eine wunderschöne Strecke mit Blick aufs Meer, den Strand, eine große Bucht und den Zuckerhut. Für die Läuferinnen jedoch ein ewig breites und immer heißer werdendes Asphaltband.

Auf diesem „loop“ konnte ich leicht wechseln und Andrea so alle ca. 5 Kilometer abpassen. Bei km 12 sah ich sie zum 2. Mal, ihre Gruppe war schon deutlich kleiner geworden, das Tempo immer noch gut, im Bereich von 3:38 min/k. Noch stellte ich Hochrechnungen auf eine mögliche Endzeit an und gab Andrea die Infos durch, munterte sie auf und lief einige Schritte außen hinter den Zuschauern mit. Zum Glück gab es aufgrund der Größe der Strecke und des Zuschauerstreifens viel Platz hinter den Absperrgittern. Wieder überquerte ich die Strecke (es gab zahlreiche Über- und Unterführungen) und wartete bei km 17. Diesmal musste ich schon etwas länger warten und die Hochrechnungen sahen nicht mehr ganz so gut aus. Andreas Gruppe hatte sich vollkommen aufgelöst, und sie hatte sich an die einzige noch verbliebene Läuferin angehängt. Etwas später, etwa bei der Halbmarathondistanz, kam von hinten eine Läuferin mit deutlich höherem Tempo, die die pacemakerin nach vorne mitriss, sodass Andrea ab diesem Zeitpunkt ganz alleine laufen musste. Ihre Begleiterin musste für die mutige Tempoverschärfung zwar kurz darauf bezahlen und ging völlig ein, das nutzte Andrea aber nur wenig. Nun hieß es Zähne zusammenbeißen und kämpfen. Bei km 22 stand ich wieder am Rand, sah, dass das Tempo nun doch deutlich langsamer geworden war und rief Andrea zu, dass sie nicht mehr auf die Kilometerzeiten schauen, sondern nur auf die Position im Feld achten sollte und darauf, möglichst gut durchzukommen. Nur ja nicht aufgeben! Von Minute zu Minute wurde es heißer und nicht wenige Läuferinnen stiegen völlig erschöpft aus. Immerhin lag Andrea deutlich vor den höher eingeschätzten Hahner-Schwestern aus Deutschland, die Bestzeiten von 2:26 bzw 2:28 stehen haben. Das war doch ein kleiner Ansporn. An der Strecke waren 2 sogenannte "mist-stations" pro Runde aufgestellt, die feinen Wasserdampf zur Kühlung versprühen sollten. Sie waren aber leider völlig wirkungslos, da der leichte Wind den Wasserdampf sofort nach oben verblies, sodass er gar nicht auf die Höhe der Marathonläuferinnen gelangte.

Mein nächster Treffpunkt mit Andrea war bei km 27 - sie kämpfte weiterhin ganz alleine im Feld. Obwohl die Kilometerzeiten nun "nur" mehr um 3:50 lagen, hatte sie Plätze gut gemacht und war selbst von niemandem eingeholt worden. Es war kurz nach 11 Uhr und es wurde immer wärmer. Ich feuerte an, so laut ich konnte und rief ihr zu, dass sie an guter Position lag, bereits in der ersten Hälfte des Starterfeldes, was unser erklärtes Ziel war. In London war Andrea exakt in der Mitte aller Teilnehmerinnen gelandet, auf dem 54. Platz von 108 Läuferinnen. Ich lief zwei- bis dreihundert Meter außen an der Absperrung mit und schrie ihr zu, dass sie locker bleiben sollte. Das amüsierte die zahlreichen südamerikanischen Zuschauer beträchtlich, die meine Zurufe als "loca, loca!" interpretierten und davon ausgingen, dass ich meine Athletin als Verrückte bezeichnete. Begeistert stimmten in sie in meine Anfeuerungen ein.

Am Ende der letzten der drei 10-km-Runden wartete ich wieder auf Andrea. Vor meinen Augen stiegen gemeinsam 2 der 3 hoch gehandelten Portugiesinnen völlig entkräftet aus. Ich lief vor bis km 35 und war dabei - mit Rucksack und Kamera in der Hand - teilweise deutlich schneller als so manche Athletin auf der Strecke. Dann kam auch schon Andrea - immer noch allein, aber mit vergleichsweise gutem Schritt, und ich munterte sie noch einmal auf, ja nicht stehenzubleiben und durchzukämpfen. Eine knappe halbe Stunde noch!

Auf mich wartete nun die Herausforderung, etwa 2,5 km durch die Stadt abzukürzen, um Andrea noch einmal bei km 40 treffen zu können. Es gelang mir, und ich war erleichtert, als ich sie auftauchen sah. Obwohl das Tempo jetzt schon über 4 min/k lag, hatte sie noch 3 Positionen gutgemacht! Da die Straße extrem breit war und auch hinter der Absperrung noch eine Nebenstraße und Gehsteige verliefen, war genug Platz für mich, mit Andrea mitzurennen und sie ein letztes Mal anzufeuern. Sie war am Ende ihrer Kräfte. Von hinten näherte sich allmählich eine Läuferin, schloss auf und überholte. Andrea versuchte, sich anzuhängen, leider gelang es nicht ganz. Endlich kam die Linkskurve in Sicht, die auf die Zielgerade ins Sambódromo führte. Hier kam ich nicht mehr durch die Zuschauer, aber jetzt war klar, dass Andrea es geschafft hatte, obwohl ihr die 700 Meter lange Schlussgerade zwischen den Zuschauertribünen endlos vorkam. Dann, nach 2 Stunden, 41 Minuten und 52 Sekunden hatte sie das Ziel erreicht! Als 64. von 157 Läuferinnen darf sie zufrieden und stolz auf ihre Leistung bei dieser Hitzeschlacht sein!

Hinter der Ziellinie wartete die ersehnte Abkühlung in Form von Eisbeuteln und viel Wasser. Ich schaffte es erneut, mich in den Athletenbereich nach dem Zielbogen durchzuschummeln, wo Andrea nach ein paar Interviews mit APA- und anderen Journalisten mutterseelenallein und erschöpft am Boden unter einem der Athletenzelte saß. Nach einigen Minuten verließen wir das Sambódromo, um uns mit Andreas Mama und ihrem Bruder zu treffen, die auch an der Strecke angefeuert hatten. Die zu finden war fast so anstrengend wie die letzten Marathonkilometer, auch weil fast jeder, an dem Andrea - immer noch in ihrem Wettkampfdress mit Startnummer - vorbeikam, unbedingt ein Foto mit ihr machen wollte. Danach fuhren wir ins Österreich-Haus in Botafogo, wo es endlich etwas zu essen gab. Vor allem der Kaiserschmarren zum Dessert füllte die leeren Speicher wieder ein bisschen auf!

Heinz Eidenberger von SVS Schwechat hat sich die Mühe gemacht, die Chronologie von Andreas Rennen und auch die ersten Informationen über diesen olympischen Marathon und Andreas Reaktionen zusammenzufassen:

Nach mäßigen Wetterbedingungen in den letzten Tagen gab es genau zum Frauenmarathon einen Wetterumschwung, der hohe Temperaturen und hohe Luftfeuchtigkeit in Rio de Janeiro mit sich brachte. Alle Läuferinnen hatten hart zu kämpfen und niemand konnte an seine Bestleistungen anschließen. Andrea ist übrigens 30. beste Europäerin im Feld und konnte auch das Prestigeduell gegen die deutschen Hahner-Sisters, Anna und Lisa, die als 81. und 82. in 2:45:32 bzw 2:45:33 Std. ins Ziel kamen, für sich entscheiden. Andrea nach dem Rennen: „Wahnsinn, es war so hart, so heiß. Es war sicher der härteste Marathon, den ich jemals gelaufen bin. Die Zeit kann man nicht so werten, natürlich ist die Zeit schlecht. Aber im Vergleich zu den deutschen Mädels kann ich nicht unzufrieden sein. Anja Scherl ist heuer eine 27er-Zeit gelaufen, jetzt 37. Die hat auch wahnsinnig viel verloren. Und beide Hahner-Mädels sind hinter mir. 64. von 157, ich glaube, ich kann zufrieden sein!"

„Am Schluss war es ein Kampf Sterbende gegen Sterbende“, schildert Andrea das Rennen. „Ich habe nicht mehr können, aber nachdem ein paar vor mir noch mehr eingegangen sind, habe ich mir immer wieder ein neues Ziel setzen können. Die schaffe ich noch, die hole ich noch ein.“

Welche Mühen der Hitzemarathon allen Läufern abverlangt hat, erkennt man an den 5-km-Splits, die bei Andrea immer langsamer werden, aber sie stetig Plätze gutmacht. Wie muss es da ihren Konkurrentinnen ergangen sein? Nur einmal muss Andrea eine Läuferin von hinten vorbeiziehen lassen, nämlich ganz zum Schluss.

Hier die 5km-Splits von Andrea:

05km 0:18:13h als 92.
10km 0:36:21h als 89. (also 18:08min)
15km 0:55:05h als 85. (19:00min)
20km 1:13:42h als 77. (18:37min)
Halbmarathon in 1:18:00h bereits als 75.

25km 1:32:52h als 73. (19:10min)
30km 1:52:19h als 69. (19:27min)
35km 2:12:24h als 66. (20:05min)
40km 2:33:05h als 63. (20:41min)

Finish in 2:41:52h als 64. von 157 Läuferinnen!

Die Resultate gibt es hier.

Thumbnail 01_Im Aufwärmbereich_(1024_x_768).jpg: Im Aufwärmbereich Thumbnail 02_Im Callroom_(1024_x_768).jpg: Im Callroom Thumbnail 03_DSCN0259_(1600_x_1200)_(1024_x_768).jpg: Im Callroom Thumbnail 04_kurz vor km 6_(1024_x_768).jpg: kurz vor km 6 Thumbnail 05_Anfeuern und Fotogografiern gleichzeitig funktioniert nicht immer.jpg: Anfeuern und Fotogografiern gleichzeitig funktioniert nicht immer
Im Aufwärmbereich Im Callroom Im Callroom kurz vor km 6 Anfeuern und Fotogografiern gleichzeitig funktioniert nicht immer
Thumbnail 06_Ein Zuschauer am Streckenrand.jpg: Ein Zuschauer am Streckenrand Thumbnail 07_zu zweit bei km 17.jpg: zu zweit bei km 17 Thumbnail 08_bei km 22 mit dem Zuckerhut im Hintergrund.jpg: bei km 22 mit dem Zuckerhut im Hintergrund Thumbnail 09_und ein paar Metern im Schatten.jpg: und ein paar Metern im Schatten Thumbnail 10_bei km 27 alleine.jpg: bei km 27 alleine
Ein Zuschauer am Streckenrand zu zweit bei km 17 bei km 22 mit dem Zuckerhut im Hintergrund und ein paar Metern im Schatten bei km 27 alleine
Thumbnail 11_DSCN0299_(1024_x_768).jpg: bei km 27 alleine Thumbnail 12_km 35 ist erreicht.._(1024_x_768).jpg: km 35 ist erreicht Thumbnail 13_und damit das Ende der 3 großen Runden_(1024_x_768).jpg: und damit das Ende der 3 großen Runden Thumbnail 14_km 40!_(1024_x_768).jpg: km 40! Thumbnail 15_ein schlechtes Foto bei km 41_(1024_x_768) (2).jpg: ein schlechtes Foto bei km 41
bei km 27 alleine km 35 ist erreicht und damit das Ende der 3 großen Runden km 40! ein schlechtes Foto bei km 41
Thumbnail 16_das Ziel ist in Sicht.._(1024_x_768).jpg: das Ziel ist in Sicht ... Thumbnail 17_(1024_x_768).jpg: ... und erreicht! Thumbnail 18_(1024_x_768).jpg: Geschafft! Thumbnail 19_Andreas Resultat gut bewacht.jpg: Andreas Resultat gut bewacht Thumbnail 20_Andrea gut bewacht.jpg: Andrea gut bewacht
das Ziel ist in Sicht ... ... und erreicht! Geschafft! Andreas Resultat gut bewacht Andrea gut bewacht
Thumbnail 21_die letzten 200 Meter_(1024_x_768).jpg: die letzten 200 Meter Thumbnail 22_Alle wollen....jpg: Alle wollen ... Thumbnail 23_ein Foto....jpg: ... ein Foto ... Thumbnail 24_mit Andrea.jpg: ... mit Andrea
die letzten 200 Meter Alle wollen ... ... ein Foto ... ... mit Andrea