Sturm auf den Kulm 19.5.
Andi berichtet:
Ein großer österreichischer Zaubertrankhersteller ließ am Pfingstsonntag
zum Sturm auf den Kulm, die größte Naturschiflugschanze der Welt blasen.
Während Gregor Schlierenzauer und Genossen nach einigen Sekunden Anlauf,
Luftfahrt und Auslauf am tiefsten Punkt der Schanze abschwingen, mussten
die Kulmstürmer die nur 400 Meter lange Strecke mit ihren 185 Höhenmetern
in umgekehrter Richtung bewältigen.
Bei der Besichtigung war ich überwältigt von der Steilheit des
Aufsprunghügels, der sowohl einen Auf- als auch einen Abstieg auf 2
Beinen unmöglich scheinen ließ. Unglaublich steil auch die Schanze
selbst, vor allem im letzten Drittel. Eine Strecke also, die Andrea
liegen sollte, während sie mir und den meisten anderen Teilnehmern nur im
wahrsten Sinn des Wortes entgegenkam.
Während die Damen nur einen Finallauf zu absolvieren hatten, fanden bei
den Herren aufgrund des großen Andrangs 6 Vorläufe mit je 50 Teilnehmern
statt, die zunächst nur bis zum Schanzentisch führten. Die 50
Zeitschnellsten qualifizierten sich dann fürs Finale. Nachdem ich im
Startbereich vergeblich nach einem Flügelverleih gesucht hatte, kam ich
zu der Erkenntnis, dass ich beim Kampf gegen die Schwerkraft ganz allein
auf mich gestellt war. Um 12.20 Uhr kam ich im letzten der 6 Vorläufe
dran und war wenige Sekunden nach dem Start gleich einmal Dritt- oder
Viertletzter. Nach etwa 30 Metern wurde es so steil, dass ausnahmslos
alle die nächsten 150 Meter auf allen Vieren zurücklegten. Das Ganze
ähnelte einer Invasion der Riesenkäfer. Ich sah in dieser unwürdigen
Stellung eigentlich nur die Grasbüschel und Steine unmittelbar vor und
unter mir und merkte so nicht, dass ich nach und nach an einem Großteil
meiner Konkurrenten vorbeikrabbelte. Kurz vor dem Ziel wurde es ein wenig
flacher, sodass man sich wieder aufrichten und auf 2 Beinen laufen
konnte. Ein Freund rief mir zu, dass es sich ganz knapp mit dem Finale
ausgehen könnte und jede Sekunde zählt. Ich strengte mich daher
fürchterlich an und kämpfte mich mit aller Kraft und entsprechendem
Gesichtsausdruck ins Ziel. Ich wurde 5. in meinem Vorlauf, und, noch viel
besser, Gesamt - 48., ca. 1,5 sec vor dem 51. Die Anstrengung hatte sich
ausgezahlt!
Um 14.45 Uhr war Andrea dran. Ihre größten Konkurrentinnen waren die
italienische Bergläuferin und Olympiateilnehmerin im Langlauf, Antonella
Confortola-Wyatt, eine Spezialistin für steile Strecken und Teresa
Stadlober, österreichische Juniorenweltmeisterin im Langlauf. Gleich nach
dem Start übernahm Andrea die Führung und bezwang den Aufsprunghügel zur
Gänze ohne die Hände zu Hilfe nehmen zu müssen. Ganz souverän baute sie
ihren Vorsprung aus und griff nur kurz auf den Boden, wenn sie einmal
ausrutschte. Bis zum kurzen, etwas flacheren Teilstück vor dem
Schanzentisch bei 250 Metern hatte sie schon ca. 15 Sekunden Vorsprung.
Auch die Schanze selbst lief sie stets aufrecht und benutzte als Einzige
nicht das Geländer auf der Seite, an dem sich ausnahmslos alle (auch der
Herrensieger) beidhändig hinaufzogen. Der Sprecher konnte es gar nicht
glauben und war ganz außer sich. Mit einer unglaublichen Endzeit von 5:34
min zertrümmerte Andrea den alten Streckenrekord um 33 Sekunden!
Antonella Confortola-Wyatt kam mit 6:11 min als Zweite und Teresa
Stadlober mit 6:18 min als Dritte ins Ziel.
Kurz danach um 15.00 Uhr ging es nun für mich darum, nicht Letzter im
Finale zu werden. Diese Platzierung hatte ich nach den ersten 30 Metern
aber zweifellos inne, konnte dann aber doch wieder aufholen. Viele hatten
viel zu schnell begonnen und waren in den Steilhang hineingesprintet.
Erneut also auf allen Vieren bis zur ersten Hälfte, in aufrechter Haltung
zum Schanzentisch und über eine Holzrampe auf die Schanze, dann noch 20
oder 30 Meter mit laufähnlichen Schritten über den flachen Teil der
Schanze. So, jetzt zu den Geländern auf der Seite, aber die waren
irgendwie alle besetzt! Ein Läufer hinter dem anderen zog sich schon
daran hinauf und so war ich gezwungen, noch weiter aufrecht zu laufen.
Irgendwann ging es aber beim besten Willen nicht mehr und ich musste mich
in die Reihe am Geländer einordnen. Überholen (und überholt werden) war
dadurch fast unmöglich. Am Schluss hatte ich sogar noch ein bisschen
Kraft und kroch und hantelte mich schließlich in 6:34 min, genau 1 Minute
langsamer als Andrea, als 33. ins Ziel. Dort fielen alle auf eine vom
Veranstalter vorsorglich aufgelegte Matte und rührten sich nicht mehr vom
Fleck.
Im Gegensatz zu den Männern (und nur 4 davon waren insgesamt schneller
als sie!) musste Andrea mangels totaler Erschöpfung dieses Service im
Ziel nicht in Anspruch nehmen. Gewonnen hat übrigens der mehrfache
Berglauf-Europameister Ahmet Arslan aus der Türkei vor einem slowenischen
und einem polnischen Treppenlauf-Spezialisten.
Riesenglück hatten Veranstalter und Kulmstürmer mit dem Wetter: Nur 2
Minuten nach dem Ende des letzten Finallaufs begann es zu schütten. Bei
Nässe wären das steile Wiesenstück und auch die Schanze zu rutschig und
daher nicht mehr laufbar gewesen.
Bei der im strömenden Regen stattfindenden Siegerehrung erhielt Andrea
neben einem Riesenpokal in Form einer Schanze und anderen Preisen auch
ein 5-Liter-Bierfass der Stiegl Brauerei.
Da bekanntermaßen der Organisator und Hauptsponsor seinen Flügel
verleihenden Zaubertrank vornehmlich in Blechdosen abfüllt und als
Nebensponsor die Stiegl Brauerei auftrat, war klar, dass es im Ziel kein
herrlich frisch gezapftes Zwettler geben konnte. Nichtsdestotrotz werden
wir zur Feier von Andreas Sieg aus unserem Blechfass das eine oder andere
Stiegl herrlich frisch zapfen!