Berglauf-Europameisterschaften Borovets (BUL) 6.7.
Andi berichtet:
In den letzten Wochen mussten die Berge in und um Gmunden vermehrt
herhalten für intensive Trainingseinheiten mit vielen Höhenmetern, und das
konnte nur eines bedeuten: Es standen wieder internationale Meisterschaften
vor der Tür, bei denen Andrea es ihren Gegnerinnen so schwer wie möglich
machen wollte: Als „bestia nera“ (siehe Bild unten) wurde sie in einem
italienischen Berglaufmagazin bereits im Vorfeld bezeichnet, weil die in
Italien hoch geschätzten heimischen Bergläuferinnen schon so oft von Andrea
besiegt worden waren. Die EM in Bulgarien sollte nun Schauplatz des
nächsten Kräftemessens werden. Das italienische Team hatte sich darauf
übrigens mit einem 3-wöchigen Höhentrainingslager in Sestriere
professionell vorbereitet.
Donnerstag Nachmittag bestieg dann ein sehr kleines österreichisches Team
das Flugzeug nach Sofia. Da die größten Hoffnungen auf Andrea ruhten,
durfte auch ich als Betreuer mit. In Sofia erwartete uns und 2 weitere
ankommende Teams ein innen wie außen gleichermaßen verstaubter, etwas
baufälliger Kleinbus, der uns ins ca. 60 km entfernte Borovets bringen
sollte. Nach 1 1/2-stündiger Fahrt kamen wir an und beeilten uns, vor
Einbruch der Dunkelheit zumindest noch einen Teil der Laufstrecke, die
unmittelbar vor dem Hotel begann, zu besichtigen. Mit Andrea lief ich die
ersten 3 km ab, dann ging es zum Abendessen. Am nächsten Vormittag wollten
wir eigentlich nur die 2. Streckenhälfte locker ablaufen, da sich aber
herausstellte, dass die Mittelstation der Gondel, die zum Ziel führte, weit
neben der Strecke lag, blieb uns nichts anderes übrig, als die gesamte
Strecke von ganz unten weg zu Fuß zu inspizieren. Meinen Vorschlag, dies im
Gehen und lockeren Laufen auf den flacheren Abschnitten zu erledigen,
folgten nur die beiden Männer im Team. Andrea enteilte uns schon bald und
erledigte die Streckenbesichtigung zu meinem Entsetzen in einer Zeit, die
beim Rennen bereits für den 50.Platz gereicht hätte. Ca. 30 Minuten später
kamen wir oben an.
Am Nachmittag gab es eine kleine Eröffnungsfeier mit bulgarischer Folklore,
bei der ein Kinderchor ein Lied mit schätzungsweise 35 Strophen sang.
Immerhin waren sie bis zum Abendessen fertig.
Davor hatten wir uns noch ein bisschen den Ort angesehen: Borovets ist der
größte und älteste Gebirgsurlaubsort in Bulgarien. Allerdings hat sich bis
heute dort keine Ortschaft entwickelt, Borovets ist ein reiner Hotelkomplex
mit unzähligen Souvenirläden und Lokalen geblieben, beherrscht von rostigen
Wellblech-Holzbaracken mit Freiluft-Grillanlagen, wurstelpraterähnlichen
Teilen und gigantischen 70er-Jahre-Riesenhotels mit erheblichen
Abnützungserscheinungen (Details dazu auf den Fotos). Beeindruckend
allerdings die Landschaft des Rila-Gebirgsmassivs mit dem höchsten Berg des
Balkangebirges, dem 2.925 m hohen Musala-Gipfel. Und diesen Bergen galt ja
am Samstag Morgen unser Hauptinteresse:
Die Damen-Strecke führte über 8,8 km und 1.027 Höhenmeter auf 2.360 Meter
Höhe. Um 9.45 Uhr ging es für Andrea los. Ich war ein Stück vorgelaufen, um
sie nach etwa 500 Metern anzufeuern. Locker beginnen, ruhig in der Gruppe
bleiben und NICHT vorne weglaufen zu Beginn war die strikt vorgegebene
Taktik. Eine Vorgabe, die von Andrea kurz nach dem Start verworfen wurde,
sodass ich sie nach 2 Minuten schon als Führende begrüßen durfte. Mein
neuerliches Entsetzen kümmerte sie (wie schon am Vortag) nur wenig.
Nachdem sie vorbei war, sprintete ich zur Seilbahn und verließ die
Talstation 2 weitere Minuten später in einer Gondel, die 25 Minuten bis zum
Gipfel brauchte. Währenddessen hatte das Feld die ersten beiden relativ
flachen Kilometer absolviert, und schon in der ersten Steigung danach
begann sich Andrea abzusetzen. Nach 2,5 km konnte ihr keine einzige
Konkurrentin mehr folgen. Leider konnte ich das von der Gondel aus nicht
beobachten, da man bis zum Schluss keine Sicht auf die Laufstrecke hatte.
Meine Nervosität war daher groß, als ich oben angekommen aus der Gondel
sprang und Andrea auf der Strecke entgegenrannte. Nach etwa 7 Minuten
konnte ich erstmals ganz weit unten die ersten Läuferinnen erkennen: Eine
hatte sich deutlich abgesetzt, aber nicht einmal der Fotograf mit dem
Riesen-Teleobjektiv neben mir konnte mir sagen, wer das war. So lief ich
noch weiter bergab und 3 Minuten später war es deutlich zu sehen: Andrea
lag mit einem Riesenvorsprung in Führung, hatte ihre Gegnerinnen im
Mittelteil abgeschüttelt und lief allein auf mich zu. „Nur noch 10
Minuten!“ rief ich ihr zu und zu diesem Zeitpunkt wusste ich (im Gegensatz
zu Andrea selbst, die bis kurz vor dem Ziel unsicher war), dass nichts mehr
passieren konnte. Der Vorsprung betrug schon fast 1 Minute, knapp 200 Meter
in dem steilen Gelände, und während Andrea noch lief, mussten ihre
Verfolgerinnen immer wieder Gehpausen einlegen.
Die Zielankunft hörte ich, während ich neben der Strecke hinaufkeuchte und
den anderen Läuferinnen im Kampf um die Plätze 2 und 3 und die folgenden
Positionen zuschaute, über Lautsprecher. Am Schluss hatte Andrea 1:05
Vorsprung auf die zweitplatzierte Italienerin (wieder Valentina Belotti)
und die Dritte Mateja Kosovelj aus Slowenien. Vierte wurde die wegen
Dopings zuvor 2 Jahre gesperrte Italienerin Elisa Desco.
Der Jubel und die Erleichterung waren bei Andrea riesengroß, da war es
leicht zu verkraften, dass ihr Rucksack mit dem Wechselgewand erst eine
Stunde später im Ziel auftauchte und sie die flower-ceremony mit
ausgeborgten Sachen absolvieren musste. Da es im Ziel sehr kalt war (7-8 °
C), mussten wir alles Mögliche zusammenkratzen, trotzdem fror Andrea
ordentlich. Danach Dopingkontrolle, Fotos, Gratulationen überall.
Inzwischen waren die Herren ins Ziel gekommen, unter ihnen auch David, der
hervorragender 10. wurde, aber trotzdem nicht ganz zufrieden war. Bester
(und einziger) Österreicher war Simon Lechleitner als 16. Das eingangs
erwähnte Höhentrainingslager der Italiener hatte sich übrigens
offensichtlich ausgezahlt: Europameister wurde Bernard de Matteis aus
Italien, seine Landsleute belegten dazu noch die Plätze 2 und 4. Die
Italienerinnen landeten hinter Andrea auf den Rängen 2, 4 und 5. Natürlich
ging damit Mannschaftsgold ebenfalls 2 Mal überlegen an Italien.
Mit der Gondel ging es dann wieder hinunter, und weil bis zur Siegerehrung
noch so viel Zeit blieb, nahmen Andrea und ich um 16 Uhr an dem vom
Veranstalter groß angekündigten „fun-race“ im Startbereich teil. Dabei
konnte ich beim Sackhüpfen einen Schlüsselanhänger gewinnen. Nach einem
weiteren Rundgang durch den Ort wurde es Zeit für die Siegerehrung, bei der
Andrea ihre 2. EM-Goldmedaille (nach 2005 am Großglockner) überreicht
wurde. Damit hat sie jetzt 4 WM- und 2 EM-Goldmedaillen!
Danach folgte das wohlverdiente Abendessen und eine Riesenparty bis nach
Mitternacht. Am nächsten Morgen ging das gesamte Team um 8 Uhr gemeinsam 30
Minuten auslaufen, ehe wir in einem diesmal zwar größeren, allerdings
genauso baufälligen Bus wie vor 3 Tagen zum Flughafen nach Sofia
zurückgebracht wurden. Dort wurden wir lediglich noch mit dem Ausfall des
Gepäckförderbands konfrontiert, bevor wir den Flieger nach Wien besteigen
konnten.
Von den Anstrengungen darf sich Andrea zwar am dienstfreien Montag noch
erholen, dann aber wartet im Krankenhaus Gmunden eine 84-Stunden-Woche von
Dienstag bis Sonntag auf sie, mit zwei Nachtdiensten und zwei
12-Stunden-Langdiensten. Keine Ausnahme für Europameister...
Italienische Vorberichterstattung:
Borovets: