Berglauf Weltmeisterschaft - Ponte di Legno, Italien 2.9.
Andi berichtet:
Nur 4 Wochen nach ihrem olympischen Marathon wollte Andrea ihren
Weltmeistertitel von 2010 im Berglauf verteidigen. Die Weltmeisterschaften
werden abwechselnd auf reinen Bergaufstrecken und Bergauf-Bergab-Kursen
ausgetragen, wobei Andrea, so wie die meisten guten Bergläufer, die
downhill-Rennen in der Regel auslässt.
Die Vorzeichen standen zwischendurch gar nicht gut: Die Anstrengung des
Olympia-Marathons hatte Andrea zwar sehr schnell weggesteckt, aber
ausgerechnet, als wir vor 14 Tagen nach Ponte di Legno fuhren, um die
Strecke zu besichtigen und dort für 4 Tage zu trainieren, erwischte sie
eine heftige Virusinfektion, zu der sich auch noch eine Mandelentzündung
gesellte. Diese Kombination setzte sogar Andrea völlig außer Gefecht,
sodass wir nach nur eineinhalb Tagen wieder die Rückreise antreten mussten.
Mehr als eine einzige Streckenbesichtigung in langsamem Gehtempo war nicht
drinnen.
Nach 4 weiteren Tagen Zwangspause konnte Andrea das Training in Wien wieder
vorsichtig aufnehmen, aber erst nach einem gelungenen Testlauf am Dienstag
auf den Lindkogel bei Mödling entschieden wir uns endgültig für die
Teilnahme an der WM.
Bei einem letzten flotten Trainingslauf auf den Grünberg in Gmunden am
Donnerstag Abend holte sich Andrea das fast schon verloren gegangene
Selbstvertrauen wieder zurück, da hat sie mir auf knapp 22 Minuten Laufzeit
über 3 1/2 Minuten (mehr als beim Halbmarathon in Berlin!) abgenommen.
Freitag ging's von Gmunden weiter nach Ponte di Legno in den italienischen
Dolomiten. Nach knapp 6 Stunden Autofahrt liefen wir noch locker einen
kleinen Teil der Strecke ab und trafen dann das österreichische Team im
Hotel. Ab Freitag Abend und den ganzen Samstag regnete es in Strömen und
die Temperaturen waren fast winterlich, jedenfalls auf dem Passo Tonale, wo
sich das Ziel der Strecke befand. Trotzdem fuhren wir mit der Seilbahn zur
Mittelstation und liefen noch einmal langsam den oberen Teil der Strecke
ab. Ziemlich durchnässt und durchgefroren ging es mit der Seilbahn wieder
talwärts und sofort in die heiße Dusche.
Wie durch ein Wunder hörte es Samstag Abend 30 Minuten vor der großen
Eröffnungsfeier, die im Freien stattfand, auf zu regnen und es kam erstmals
die Sonne heraus. So war der große Umzug der Nationen mit ihren Athleten
und Betreuern samt Fahnen und Musik- und Folkloregruppen durch den Ort ein
sehenswertes Erlebnis. Die darauf folgenden langen Reden zahlreicher
Veranstalter und Politiker kürzten wir aber dann doch dadurch ab, dass wir
uns unauffällig Richtung Hotel und Abendessen absetzten. Zu langes
Herumstehen und -sitzen ist doch nicht die optimale Vorbereitung für so ein
wichtiges Rennen.
Wie schon beim letzten Mal nahm ich wieder am open race teil, das auf der
Herrenstrecke ausgetragen wurde und dessen Start auf die für mich fast
unaussprechliche Uhrzeit von 7:45 Uhr in der Früh angesetzt war. Zu diesem
Rennen dann später. Immerhin war ich aufgrund des frühen Starts schon kurz
nach 9 Uhr im Ziel und konnte Andrea von Beginn an betreuen und anfeuern.
Mit der Seilbahn fuhr ich schnell wieder hinunter und war eine halbe Stunde
bevor es für die Damen losging, beim Start im Ortszentrum. Andrea war
ziemlich nervös und auch ein wenig traurig, weil diese Weltmeisterschaften
vielleicht ihr letztes großes internationales Rennen sein könnten
(allerdings soll man sich ja nie ganz festlegen...). Der Sprecher befasste
sich nicht nur mit den italienischen Läuferinnen und ihren Chancen bei der
Heim-WM, sondern lobte auch Andrea schon vor dem Start in den höchsten
Tönen und zählte immer wieder ihre großen Erfolge der letzten Jahre auf.
Das ergab eine fast wehmütige Stimmung neben der großen Nervosität.
All das war aber sofort nach dem Startschuss vergessen. Nach einer
schnellen Runde durch den Ort ging es nach ca. 1,5 km ohne Höhenmeter auf
den ersten steilen Anstieg. Zunächst machten drei, dann nur noch eine
Rumänin mächtig Druck und stürmte vor Andrea, die sich noch zurückhielt,
den steilen Wiesenhang hinauf. Ich sprang, nachdem sie bei mir vorbei war,
in die Gondel und fuhr bis zur Mittelstation. Während der Fahrt konnte ich
nicht sehen, dass Andrea im folgenden relativ flachen Waldstück bereits auf
die Rumänin aufgelaufen war und sie kurz darauf mühelos überholen konnte.
Wie vermutet, hatte diese sich mit ihrem schnellen Anfangstempo übernommen.
Auch die schärfsten Konkurrentinnen, darunter vor allem Valentina Belotti
aus Italien (sie wohnt im Austragungsort), eine weitere Italienerin und eine
Amerikanerin waren jetzt weiter nach vorne gekommen.
Von der Mittelstation ging ich gleich weiter Richtung Ziel und sah mich
immer wieder um: Wen würde ich als erste aus dem Wald auftauchen sehen?
Nach ca. 29 Minuten konnte ich einige hundert Meter hinter mir tatsächlich
etwas Rotes erkennen, das im Laufschritt unterwegs war. Das österreichische
Nationaltrikot, oder doch ein schweizerisches, ebenfalls in rot gehalten?
Ein paar lange Sekunden später war es gewiss: Andrea lag in Führung und
etwa 70 Meter hinter ihr ein blauer Punkt: eine Italienerin - Valentina
Belotti, die stärkste Konkurrentin! Nicht weit dahinter eine Amerikanerin.
Ein paar Minuten später hatte Andrea mich erreicht und ich feuerte sie aus
Leibeskräften an. Ich stoppte einen Vorsprung von ca. 20 Sekunden heraus,
der sich langsam zu vergrößern schien! Von meiner Position konnte ich die
Läuferinnen noch etwa 6 Minuten sehen und bemerkte, dass der Vorsprung
blieb und eher sogar noch anwuchs. Ein steiles Stück war noch zu bewältigen
- Andreas Stärke - und dann nur noch 700 Meter leicht bergab (!) ins Ziel.
Mit einer Abkürzung und einem kurzen Autostopp schaffte ich es, ein paar
Sekunden vor Andrea beim Ziel zu sein. Sie konnte bereits auf dem höchsten
Punkt sicher sein, zu gewinnen und durfte so die letzten 700 Meter
genießen! Mit 29 Sekunden Vorsprung wird Andrea zum 2. Mal nach 2010
Berglaufweltmeisterin und gewinnt zum 4. Mal nach 2006, 2008 und 2010 die
(bis 2008) World Trophy und (seitdem) IAAF-Berglauf- Weltmeisterschaft!!
Die Freude im Ziel ist unbeschreiblich, wie man auf den Fotos weiter unten
sieht.
Es folgen flower-ceremony im Ziel, Dopingkontrolle, spätes Mittagessen, ein
Besuch bei unseren extrem netten Gastgebern im Nachbarort, wo wir bei der
verunglückten Vorbereitung 14 Tage zuvor gewohnt hatten (sie waren damals
ganz besorgt wegen Andreas Krankheit und haben sich total nett um sie
gekümmert), offizielle Siegerehrung am Abend und dann die große
Abschlussparty, bei der fleißig Dressen und Trainigsanzüge unter den
Nationen getauscht wurden. Wir sind jetzt stolze Besitzer u.a. einer
Eritrea-Trainigsjacke (Eritrea stellt den Weltmeister und Vizeweltmeister
bei den Männern) und einer Irland- und Frankreich-Jacke.
Mit Andreas Goldmedaille (und dem 2.Platz im Medaillenspiegel dadurch
hinter Eritrea) im Gepäck machten wir uns Montag Früh auf die lange
Heimreise. Zu Mittag gab's noch ein wohlverdientes Kebap in Hall/Tirol.
Ach ja, das open race: Abgesehen von der schlafmützenfeindlichen Startzeit
ein tolles Erlebnis mit einer großen Ausnahme: die Bergabpassage nach 4
Kilometern. Bis dahin war es zunächst gleich nach dem Start 1,5 km extrem
steil bergauf gegangen und dann eine Zeitlang flach oder leicht bergauf.
Dann aber folgten 210 Höhenmeter Gefälle auf 800 Metern Laufstrecke kreuz
und quer über steile Wiesen und schmale rutschige Waldwege. Mein 4. Platz
vor diesem Abstieg verwandelte sich in einen 10.Platz danach. Meine
verzweifelten (und nicht immer geglückten) Bremsversuche machten zudem die
Oberschenkel für das weiter Rennen nicht gerade locker, verschafften mir
aber immerhin einen fotografischen Auftritt auf der homepage
http://www.berglaufpur.de/index.htm. Nach dem Bergabstück war die Strecke
identisch mit der Damenstrecke, ich konnte mich dann wieder ein wenig
erholen und zumindest noch 2 Läufer überholen. Nach 1:22 Stunden kam ich
als 8. im Ziel an.
Ergebnisse und Anderes gibt's hier:
http://www.comune.ponte-di-legno.bs.it/Pages/News/News.asp?Id=98980
Hier die Fotos von Vater Michael: