WM Skibergsteigen Vertical Villars-sur-Ollon (CH) 13.3.

Mission Titelverteidigung

oder:

Wie man trotzdem wieder Weltmeisterin wird

Andi berichtet:
In den letzten Wochen hatte sich Andrea eine wirklich tolle Skibergsteig-Form erarbeitet und diese bei mehreren kleinen Rennen (Unterberg, Katrin) eindrucksvoll unter Beweis gestellt. So packten wir am Samstag Vormittag nicht nur unsere Urlaubsutensilien für Viareggio sondern auch ihre Ski ins Auto und begaben uns voller Optimismus auf 2 Etappen in die Westschweiz, genauer gesagt nach Villars-sur-Ollon oberhalb des Genfer Sees, nahe der französischen Grenze. Dort fanden diesmal die Weltmeisterschaften im Skibergsteigen statt und Andreas Chancen für eine Verteidigung ihres vor 2 Jahren in Piancavallo doch etwas überraschend eroberten WM-Titels standen ziemlich gut.

Aber weil's ja Andrea ist, und damit die Sache nicht zu einfach wird, stellten sich in den folgenden Tagen eine ganze Reihe von Hindernissen und Hoppalas - insgesamt 7 an der Zahl - in den Weg, von denen jedes einzelne Grund genug gewesen wäre, das Vorhaben zu vermasseln:

#1: Die schwierige Suche nach der Wettkampfstrecke:

3 Tage vor dem Wettkampf waren wir schon angereist, um uns mit der Strecke vertraut zu machen. Aber als wir beim ÖSV-Teamchef und den anderen österreichischen Athleten nach dem Streckenverlauf fragten, erhielten wir keine brauchbare Information. Eine gemeinsame Streckenbesichtigung war nicht möglich. Irgendwie machte jeder im Team nur das, was ihn gerade selbst interessierte. Also machten wir uns mit einer wenig informativen Skizze auf eigene Faust auf den Weg. Zufällig trafen wir 2 Teamkollegen in der Zahnradbahn zur Piste, die ebenfalls die Strecke besichtigen wollten. Andrea freute sich, allerdings nur kurz: Oben angekommen schnallten die beiden ihre Ski an und fuhren davon, ohne auf Andrea zu warten. Weg waren sie, und wir stapften erst recht allein los und fanden nur Teile der Strecke.

#2: Der verletzte Hund:

Wir hatten auch den Hund von Andreas Mama mit. Am 2.Tag, als wir uns wieder auf die Suche nach der Strecke begeben hatten, läutete in der Zahnradbahn plötzlich das Telefon: Unser Hund, der mit Andreas Mama unterwegs war, war von einem Snowboarder angefahren und erheblich verletzt worden! Wir stiegen sofort aus, fuhren hinunter und mussten den armen Billy die Strecke hinuntertragen und mit ihm zum Tierarzt fahren, wo er sofort operiert wurde. Großer Stress und Aufregung, erst einige Stunden später konnten wir die Streckenbesichtigung wieder aufnehmen und schafften es am Nachmittag tatsächlich, die (noch immer nicht markierte) Wettkampfstrecke zu finden. Der erste Erfolg - immerhin.

#3: Der schwere Ski:

Als wir Andreas Ski sicherheitshalber abwiegen ließen, stellte sich heraus, dass er schwerer war, als notwendig (es gibt bei den - extrem leichten - Wettkampfskiern ein Mindestgewicht). Den Ski hatte Andrea ebenfalls über einen Teamkollegen bezogen, im Vertrauen darauf, dass es das optimale Wettkampfgerät wäre. Am Tag vor dem Rennen hörte Andrea von anderen Teamkollegen Sätze wie: „Was, mit DEM Ski läufst du??? Den verwendet ja keiner mehr!“ Der Ski ist übrigens auch länger als notwendig...

#4: Die Felle:

Die Präparierung der Felle ist eine eigene Wissenschaft und Andrea als Nichtexpertin und Quereinsteigerin hatte eigentlich auf die Unterstützung des Teams (Teamchef, Cotrainer, Kollegen) gehofft. Noch am Wettkampftag musste sie allerdings um Mithilfe förmlich betteln: Das Anfertigen von Gruppenfotos, Porträtfotos, das Mittagessen der Trainer schien wichtiger. Dazwischen immer wieder Kommentare zu den ungeeigneten Fellen, die Andrea hatte. Endlich ging ihr dann doch jemand zur Hand und präparierte ihre Felle, nicht ohne sie dabei wieder zu verunsichern: „Echt, mit DEN Fellen willst Du fahren?“ Dass Andrea dadurch schon extrem nervös und den Tränen nahe war, bemerkte keiner.

#5: Streckenänderung am Vorabend:

Am Abend vor dem Wettkampf beschloss der Veranstalter - wegen angeblich schlechter Wetterprognose - die Strecke zu ändern: Das Ergebnis war einer WM nicht würdig: 4,9 km mit nur 470 Höhenmetern - 3 km davon verliefen nahezu vollkommen flach auf einer Langlaufloipe! Das führte dazu, dass sehr viele Läufer tatsächlich auf die Langlauf-Skating-Technik umstiegen und damit deutlich schneller unterwegs waren. Gut für diejenigen, die skaten können, schlecht für Andrea, die 1 Mal im Jahr langlaufen geht und genauso schlecht skatet wie sie Eis läuft.

#6: Der falsche Helm:

Vor ein paar Wochen hatten wir uns auf der homepage des österreichischen SKIMO (skimountaineering) Verbandes über die Vorschriften für wettkampfzugelassene Helme (müssen eine bestimmte Zertifizierung haben) informiert und einen entsprechenden neuen Helm für Andrea gekauft. Als wir am Wettkampftag in der Bahn zum Start saßen, sagte plötzlich einer der Teamkollegen: „Andrea, was hast du da für einen Helm auf? Ist der überhaupt zugelassen?“ Unser Argument, dass wir uns ja auf der SKIMO-Seite informiert hatten, war schnell entkräftet: „Da sind ja nur die Normen für nationale Wettkämpfe drin. Und außerdem is die Seite eh a Schaß!“ bekamen wir zu hören. Andrea fiel das Herz fast in die Hose, zum Glück fand sie kurz vor dem Start jemanden, der ihr netterweise seinen Helm borgte, sodass sie international wettkampfkonform an den Start gehen konnte.

Zu guter Letzt: Das Rennen:

Gemeinsam begaben wir uns zum Start. Andrea war extrem nervös, v.a. wegen der flachen Strecke, auf der wir beim Aufwärmen schon zahlreiche Läufer im Skating-Schritt beobachtet hatten. Ich lief 3 Minuten vor dem Start voraus und erwartete Andrea beim Übergang vom relativ steilen Starthang in die Flachpassage. Sie musste aus der allerletzten Reihe starten, da sie keine Weltcuppunkte aufzuweisen hatte. Grund dafür ist, dass sie, weil sie ja Vollzeit berufstätig ist, einfach keine Zeit hat, zu den Weltcupbewerben (die noch dazu meist mitten unter der Woche stattfinden) zu fahren (was beim Verband leider auf wenig Verständnis stößt). Von meinem Beobachtungspunkt sah ich, dass Andrea trotzdem gut wegkam und schon nach weniger als 1 Minute alle überholt hatte und in Führung lag! Sie war extrem schnell gestartet (hoffentlich nicht zu schnell) und hatte, als sie nach ca. 2 Minuten und 50 Höhenmetern bei mir vorbeikam, bereits mehr als 10 Sekunden Vorsprung. Ein kleines Stück begleitete ich sie laufend und anfeuernd, dann bog ich auf die ursprüngliche steile Strecke ab, in der Hoffnung, so viel abzukürzen, um die Läuferinnen weiter oben noch einmal zu treffen. Währenddessen näherte sich auf dem Flachstück die Zweite in der Skatingtechnik Andrea und überholte sie. Andrea versuchte, in der klassischen Langlaufspur zu laufen, damit ihre Ski bei dem hohen Tempo etwas mehr Führung bekamen. Nicht weit dahinter skatete auch schon die Dritte daher. Die Führung wechselte nun häufig zwischen Andrea und der Zweiten, Axelle Mollaret aus Frankreich, je nachdem, ob es ganz flach oder doch ein wenig steiler war.

Ich kämpfte mich unterdessen mit aller Kraft mit Laufschuhen und Skistöcken die ursprüngliche Strecke hinauf und schaffte es tatsächlich, vor den Mädels an der Einmündung zur neuen Wettkampfstrecke 260 Höhenmeter weiter oben anzukommen. Und da sah ich tatsächlich Andrea in Führung!! Sie hatte auf der Flachpassage irgendwie mithalten und auf der nun langsam wieder ansteigenden Strecke ca. 20 Sekunden Vorsprung auf Axelle Mollaret herausholen können! Nun begannen die letzten 160, zum Glück wieder einigermaßen steilen Höhenmeter: Andrea kämpfte wie ein Löwe, ich rannte und schrie neben und hinter ihr her. Der Vorsprung blieb gleich, schien sogar größer zu werden. 5 Sekunden nach der Zweiten lief die drittplatzierte Schweizerin Viktoria Kreutzer und machte Druck. Hinter den 3 herlaufend sah ich, wie Andrea auf den letzten steilen Rampen ihr Tempo halten konnte und dem Ziel entgegeneilte. Nun war es für mich klar: Das wird sich ausgehen! Doch nachdem Andrea hinter der letzten Kuppe verschwunden und für mich nicht mehr zu sehen war, näherte sich von oben, es war fast nicht zu glauben, das letzte Hindernis (oder Hoppala):

#7: Der verlorene Ski:

Mit fast 30 Sekunden Vorsprung und völlig ausgepumpt war Andrea auf die Zielgerade eingebogen. Nach einer Linkskurve folgte ein ganz kurzes Bergabstück und dann, 25 Meter vor dem Ziel, stand sie plötzlich nur noch auf einem Ski! Der linke Ski war weg, lag irgendwo hinter Andrea, hatte sich gelöst! Wahrscheinlich war sie sich selbst auf die Bindung gestiegen. Sofort machte sie kehrt, lief zurück, wusste, sie muss auf jeden Fall mit beiden Skiern über die Ziellinie, sonst Disqualifikation. Sie hob den verlorenen Ski auf, nahm ihn in die Hand und lief und rutschte mit einem Ski in der Hand gleichzeitig ins Ziel. Geschafft, Erste, immer noch 19 Sekunden Vorsprung auf die Zweite. Weltmeisterin! Oder doch nicht...? Nach der ersten Riesenfreude, Gratulationen, Jubel, flower-ceremony plötzlich Unsicherheit: Diskussionen begannen darüber, ob der Zieleinlauf regelkonform war: Zeitstrafe oder gar Disqualifikation? Ein Protest der Franzosen stand im Raum. Dann, nach 2 Stunden stand es definitiv fest: Die Jury bestätigt das Ergebnis, das Hoppala hat mehr Zeit gekostet als es gebracht hat, ein Regelverstoß wird nicht festgestellt. Die Franzosen verzichten auf einen Protest. Andrea ist zum 2. Mal Weltmeisterin! Wir dürfen eine Goldmedaille mit in den Urlaub nach Viareggio nehmen!

Bei aller Freude bleibt ein wenig Nachdenklichkeit. Der Grund für die - vorsichtig ausgedrückt - zurückhaltende Unterstützung durch das österreichische Nationalteam ist uns nicht ganz klar. Eine Bemerkung des Teamchefs nach der Siegerehrung enthält wohl einen Hinweis: „Du Andrea, wenn du mehr Weltcuprennen machen würdest, wäre die Akzeptanz wahrscheinlich größer.“ Auch wenn er gleich anfügte, dass das nicht für die Österreicher gelte. Nichtsdestotrotz hatte der Vorbericht über die Erwartungen für die WM auf der homepage des ÖSV so gelautet:

Josef Gruber berichtete vor der Weltmeisterschaft optimistisch: „Bei den Herren Senior besteht die Chance auf eine Medaille, wenn am Renntag alles zusammenpasst. Bei den Junioren wären wir mit einem Platz unter den besten fünf sehr zufrieden. Beim Cadet steht das Sammeln von Rennerfahrung im Vordergrund.“

Und im Liveticker vom Renntag auf der österreichischen SKIMO-Seite war zu lesen:

Wir starten in Tag 5 der WM im Schweizer Villars. Heute geht es um das Vertical Rennen und wir sind gespannt wer sich den Sieg holen wird. An den Start gehen gesamt 14 ÖsterreicherInnen, darunter Jakob Herrmann, Christian Hoffmann, Armin Höfl, Paul Verbnjak, Daniel Zugg und Sarah Dreier. Die Strecke ist mit 4,9 km und 470 hm sehr kurz gehalten und somit auch sehr flach. Start ist um 15:30 Uhr, Start der Senioren um 16:20 Uhr.

Die Falschen Hasen jedenfalls freuen sich, dass auch Andrea Mayr mit dabei war und sind begeistert über ihren insgesamt 9. WM-Titel (6 x Berglauf, 2 x Skibergsteigen, 1 x Treppenlauf). Nun aber geht’s in Viareggio wieder ums klassische Lauftraining!

Hier gibt es ein kurzes Video vom Vertical-Rennen zu sehen: https://www.youtube.com/watch?v=4R0w8dW7shU
001 Andrea rennt._ 002 ._.vor Axelle Mollaret und Viktoria Kreutzer 003 voller Einsatz 004 Andrea hat sich schon abgesetzt 005 Zieleinlauf à la Andrea 006 trotzdem Erste 007 die Zweite kommt 008 und auch die Dritte 009 die ersten drei 010 011 012 flower ceremony 013 014 015 jquery html lightboxby VisualLightBox.com v6.1